Unser Leben in der kleinen Zuflucht

Mein Name ist Oliver, aber alle nennen mich nur Zausel, weil ich immer aussehe, als wäre ein Sturm durch meine Haare gefegt. Ich kam im Februar aus Malta in die kleine Zuflucht, weil ich ein Erlebnis hatte und auf Grund dessen, hier besser versorgt werden kann. Aber dazu später mehr.
Ich habe einige Tage gebraucht, um mich hier zurecht zu finden, denn es ist schon eine ganz andere Welt, als auf Malta und hier muss ich auch nicht in einem Käfig sitzen, sondern bin in einem großen Raum mit anderen Katzen zusammen. Erst dachte ich, „oh Gott, da muss ich jetzt kämpfen, damit ich überlebe“, denn auf den Straßen ist das Leben nun mal so. Und das in jedem Land. Aber mit der Zeit merkte ich, dass die Katzen hier alle ganz lieb sind und viel Rücksicht nehmen. Auch unser Pflegefrauchen gibt sich mit jedem einzelnen Näschen viel Mühe. Natürlich muss sich auch jeder Neuankömmling an die neuen Abläufe und Regeln gewöhnen und für mich war das schon schwer, weil ich ja als Einzelprinz unterwegs war. Doch nun kenne ich sie alle und liebe das Leben. Meine neuen Freunde sind einfach toll und hier gibt es alles, was verwöhnte Katze möchte. Natürlich gibt es auch einen Nachteil, den ich immer noch auf verlorenen Posten bekämpfe. Wir müssen zum Tierarzt und das hasse ich absolut. Nicht, weil der Tierarzt böse ist. Nein, das ist ein ganz Lieber und auch die Tierarzthelferinnen dort sind ganz nette und auch süße Mädels. Ich hasse die Box, die Fahrt und die ekligen Spritzen, die ich jedes Mal bekomme. Aber unsere Pflegemami sagt immer, „was muss, das muss und da gibt es keine Diskussion“. Und so sitze ich auch alle 10 Tage in der Box, muss die Autofahrt und die Spritzen ertragen und bin dann immer der traurigste Kater der Welt.
In der kleinen Zuflucht gibt es Regeln und sie werden auch streng überwacht. Die erste und wichtigste Regel ist, dass man sich nicht streiten oder bekämpfen darf. Diese Regel kannte ich ja nicht und am Anfang musste ich mir oft die Schimpfe anhören, oder bekam auch schon mal eine Rüge. Jetzt kenne ich die Regeln und weiß auch gar nicht, warum ich am Anfang so war. Bin hier immer noch der kleine Prinz und habe mir schon mein Kuschelkissen und meine Nuckeldecke erobert.
In den ersten Tagen lernte ich nur Janis, Limpi und Baghira kennen. Sie wohnen mit mir zusammen in einem Zimmer und sind ganz liebe Freunde geworden. Na ja, der kleine Baghira, den hier alle liebevoll Baggi nennen, musste von mir erst einmal etwas zurecht gemacht werden, weil er immer denkt, alle haben ihn lieb und er so doch manchmal einen auf dem Wecker mit seiner Anhänglichkeit geht. Aber jetzt sind auch wir die besten Freunde. Janis ist der Chef im Zimmer und auch wenn man ihm das nicht ansieht, oder anmerkt, man bekommt es zu spüren, wenn man sich nicht benimmt. Da ist er eisern und lässt auch keine Diskussion zu. Limpi ist ein ruhiger Freund, der sich immer lieber im Hintergrund hält. Mit dem kann man sich nie streiten, weil er jedem Streit aus dem Weg geht.
Nach einiger Zeit durfte ich dann die anderen kennen lernen, aber das ist ein absolut wilder Haufen und unsere Pflegemami nennt sie immer die Chaoten und das Zimmer, indem sie wohnen, das Chaotenzimmer. Dort leben Deiko und Felix, zwei ganz dicke Freunde. Felix ist blind und Deiko hilft ihm immer. Wenn Felix in Not ist, kommt der Deiko sofort angerannt und ist zur Stelle. Dann gibt es noch Pino und Max dort. Pino ist ein absoluter Wildling, der sich von Menschen nicht anfassen lässt, aber auch nicht mehr ausziehen möchte. Er liebt seine Gruppe, aber vor allem liebt er Max. Wo Max ist, ist auch Pino und umgekehrt. Max ist ein etwas anderer Kater. Unsere Pflegemami nennt ihn immer ihren Bengalen. Er hat ein kaputtes Auge und ist, obwohl er schon mächtig ist, ein ganz lieber und ruhiger Kerl. Auch Jim Bob lebt in diesem Zimmer. Er ist ein Riese und rot-weiß. Er lebt dort, weil er wohl Probleme mit den Vorderpfoten hat und ist ein kleiner Mobber, der immer mal wieder Schimpfe bekommt, weil er die anderen ärgert. Ja, und dann gibt es noch zwei Mädels dort, sie werden die Tussen genannt und heißen Miss Marley und Baby Fly. Aus diesem Zimmer zieht keine Katze aus, das sind die Dauerpfleglinge, wegen ihrer Geschichten und weil sie immer Pflege brauchen. Auch Limpi zieht nicht aus, weil er ja sein kaputtes Beinchen hat und es irgendwann, wenn er wieder Vertrauen zu dem Menschen hat, amputiert wird. Unsere Pflegemami sagt immer, dass im Moment keiner von uns auszieht, weil sie uns nur gesund zur Adoption einsetzen möchte und das sind wir zurzeit alle nicht, außer die Tussen, Deiko und Janis.
In einem Zimmer dürfen wir nicht rein. Dort lebt zurzeit Hope und wir hören sie oft nach unserer Pflegemami rufen. Um in dieses Zimmer zu dürfen, muss man sich auch verkleiden. Warum, weiß ich nicht, aber ich finde das schon witzig.
Dann gibt es noch ein Zimmer, wo wir immer zwiespältig sind. Es ist unterteilt und auf der einen Seite bekommen wir immer die ekligen Sachen, wie Medikamente und so. Auf der anderen Seite sind die leckeren Sachen für uns und wenn ich wählen dürfte, würde ich immer die leckere Seite nehmen. Aber ich darf ja nicht wählen.
Zurzeit sitzt dort etwas, wo unsere Pflegemami sagt, es wäre eine Katze, aber für mich sieht sie eher aus wie ein alter Besen, der kaum noch Haare zum kehren hat. Sie heißt Zoey, wird dort gepäppelt und wieder schön gemacht. Denke, das mit dem schön wird aber noch eine ganze Weile dauern.
Dann gibt es noch Perla. Sie hat ein Einzelzimmer und die anderen erzählen, dass sie eine absolute Zicke ist und keinen neben sich duldet. Sie ist die Queen im Haus und keiner traut sich an sie ran. Sie beißt und kratzt auch die Menschen, darf aber trotzdem bleiben, weil alle sie wohl lieben. Sie ist sehr krank und wird auch nicht mehr gesund. Neugierig bin ich ja schon auf sie und eines Tages werde ich es bestimmt mal schaffen, sie besuchen zu gehen.
Nun denke ich mal, habe ich alle Bewohner der kleinen Zuflucht aufgezählt. Klar, kann sich das immer wieder ändern, denn hier geht es oft zu wie auf einen Bahnhof. Dann kommen die Miezen und schwupps sind sie wieder weg. Oder es ziehen welche Miezen aus und dafür kommen dann wieder neue Miezen, so wie ich. Es sollen hier auch immer im Sommer Babys wohnen, aber bis jetzt habe ich noch keine Babys hier gesehen. Ist aber auch noch kalt draußen, also kein Sommer.
Unsere Pflegemami sagt immer, wir müssen uns hier an einen festen Ablauf halten, da wir sonst wie die Flodders werden. Kenne zwar die Flodders nicht, aber ist ja eh egal, weil wir nie so werden dürfen.
Morgens um 5 Uhr weckt sie uns. Dann nimmt sie mich auf den Arm und trägt mich in den Bereich, wo ich nicht so gerne bin. Da werde ich sauber gemacht, mein Fell wird gebürstet, sie schaut meine Zähne und meine Ohren nach und schaut, wie es mit meinem Schwanz klappt und wie weit ich ihn bewegen kann. Das mag ich nicht und wenn ich schlechte Laune habe, zeige ich ihr das auch. Aber ehrlich, bringen tut es mir nichts, denn sie lässt sich von mir nicht beeindrucken. Wenn ich fertig bin, bekommen wir Futter und während wir es uns schmecken lassen, macht sie unsere Klos sauber, kehrt und putzt. Zum Schluss tauscht sie noch die Decken und Kissen aus, die dreckig sind, drückt uns alle mal doll und dann ist sie weg. Danach hören wir sie in den anderen Zimmer arbeiten und das zuhören ist so anstrengend, dass wir immer dabei einschlafen. Um 6 Uhr ist dann Ruhe. Dann wissen wir, jetzt trinkt sie ihren Kaffee und da darf sie nichts stören. Gegen Mittag ist dann für alle schmusen, spielen und toben angesagt. Da sagt sie auch nichts, wenn alles durcheinander gewirbelt wird. Dann lacht sie mit uns und versucht uns alle auf sich unterzubringen, damit keiner neidisch wird. Wenn wir dann müde sind, bekommen wir alle noch ein Lecker und dann schlafen wir erst einmal den Schlaf des Gerechten. Dann hat sie bis 15 Uhr Ruhe, denn wir möchten nicht gestört werden. In dieser Zeit macht sie dann ihre Sachen und kuschelt noch mit Hope. Um 18 Uhr stehe ich dann wieder an der Tür parat. Mittlerweile nehme ich auch mein Kuschelkissen mit dahin, damit ich es etwas bequemer beim warten habe. Denn dann gibt es unsere Abendmahlzeit und die macht sie immer ganz lecker. Da lässt sie sich immer kleine Sachen einfallen, die wir dann in den Näpfen finden. Tja, und während wir gemütlich an den Näpfen sitzen, wirbelt sie wieder durch die Zimmer, räumt auf, kehrt und putzt, wenn wir uns nicht so benehmen konnten. Danach setzt sie sich noch etwas zu uns und erzählt uns was, oder liest uns aus ihrem Buch vor. Um 20 Uhr ist dann Ruhe. Da gibt es auch nichts zu rütteln, da ist sie eisern. Um 20 Uhr geht das Licht aus und da kennt sie nichts. Wenn sie dann um 23 Uhr ihre letzte Runde durch die Zimmer dreht, bekommen das einige von uns schon gar nicht mehr mit. Na ja, vielleicht mit einem Auge mal geschaut, aber mehr schaffen wir nicht.
Manchmal, so wie bei Hope am Anfang, oder wie jetzt bei der kleinen Zoey, macht sie auch durch. Dann hören wir sie, oder sie huscht durch unser Zimmer. Das macht sie, weil diese Katzen dann noch sehr schwach sind und rund um die Uhr Hilfe brauchen. Und oft schläft sie auch bei diesen Katzen. Dann schleppt sie Kissen und Decke mit sich rum und einen Comic, weil sie diese so gerne liest. Dadurch sieht sie oft morgens aus, als hätte man sie dem größten Sturm ausgesetzt und manchmal müssen wir zweimal schauen, ob sie es auch wirklich ist, oder sich ein Fremder durchmogeln möchte.
Wenn unser Pflegepapi frei hat, hilft er ihr immer. Dann ist das schön, weil wir dann zwei Menschen zum ärgern haben und der Pflegepapi ist auch nicht so streng. Der muss aber auch nie aufräumen und haut dann immer lachend ab, wenn die Pflegemami mit uns und ihm schimpft. Aber sie ist auch froh, wenn er da ist, weil sie dann nicht soviel Arbeit hat. Sie muss ja auch immer viel fahren, telefonieren und schreiben. Unser Pflegepapi sagt immer, ohne sie würde hier gar nichts laufen. Sie ist die Seele der kleinen Zuflucht.
Wenn wir nicht schlafen können, erzählt der Janis uns immer Geschichten von der kleinen Zuflucht. Er ist ja einer der ersten Kater hier und kennt sie alle, die kleinen und großen Katzen, die hier eine Zeit gewohnt haben, oder immer noch hier leben. Dann erzählt er uns, wie die kleine Zuflucht entstanden ist, von den kleinen Babys und das einige von ihnen es nicht geschafft haben und nun im Regenbogenland sind. Von den vielen Tränen, die unsere Pflegemami geweint hat und von den schönen Zeiten, die sie hier erlebt hat. Er erzählt uns, dass sie immer darauf achtet, nicht mit einem Tierheim oder einer Einrichtung für Tiere verglichen zu werden, weil sie möchte, dass wir uns alle hier als Familienmitglieder fühlen. Und er beschreibt uns alles so klar, dass wir immer wie gebannt zuhören. Denn die kleine Zuflucht hat in den Jahren viele Geschichten zu erzählen. Zählen kann man wohl die vielen Notnasen nicht mehr, die hier schon für eine Weile gewohnt haben. Aber das ist auch egal, weil sie alle nun in einem lieben Zuhause leben und die glücklichsten Katzen der Welt sind. Ich weiß nicht, ob ich für immer hier bleibe, oder ob ich eines Tages auch ausziehen werde. Das entscheidet die Zeit und wie ich mit meiner Behinderung klar komme, oder sie wieder weg geht. Doch eins weiß ich sicher. Auch, wenn ich bleiben werde, habe ich all die Liebe und auch Freunde, die man sich als Kater wünscht. Daher lasse ich gemütlich die Zeit entscheiden, denn jetzt ist das hier meine Familie und ich liebe sie schon richtig dolle.
Nun werde ich meine Eindrücke zu Ende bringen, denn bald kommt wieder unsere Pflegemami und ich muss vorher noch aufs Klo, damit es sich für sie lohnt, mich sauber zu machen. Zum Schluss möchte ich aber noch einen Wunsch äußern. Wenn es Menschen gibt, die unsere kleine Zuflucht mögen, uns besuchen möchten und die Motivation unserer Pflegemami verstehen, dann wäre es toll, wenn sie uns als kleines Geschenk ein wenig Futter spenden würden. Wir verbrauchen ja immer sehr viel und unsere Pflegemami hat immer so hohe Kosten. Sei es mit dem Tierarzt, oder den Medikamenten usw. 
Nun hoffe ich, dass Euch meine Erzählung von der kleinen Zuflucht gefallen hat und Ihr nicht böse seid, dass ich am Ende noch einen Wunsch dran gehangen habe.

In Liebe, Euer Olli Zausel

Oliver hat sein Happy End gefunden und darf bei einer liebevollen Familie leben.